Menschen haben sich schon immer mit Herausforderungen beschäftigen müssen. Diese wiederum haben es Gesellschaften immer wieder ermöglicht sich stetig zu Wandeln. Durch Anpassung konnten somit die anstehenden Aufgaben bewältigt werden. So konnte man etwa das Problem der Nahrungsmittelknappheit durch die Industrialisierung der Landwirtschaft lösen, was wiederum zu einem Wandel weg von einer Agrargesellschaft führte.
Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind jedoch derart Komplex, dass es Antworten und Veränderungen in einem weit größeren Ausmaß und schneller den je Bedarf.
Globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: – Globalisierung – Gesellschaftliche Spaltung – Zwischen- und innerstaatliche Konflikte – Verbreitung von Massenvernichtungswaffen – Internationaler Terrorismus – Klimawandel und Umweltzerstörung – Demographischer Wandel – Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – Verteilung von Resourcen – Organisierte Kriminalität – Autoritäre Regime – Wandel der Arbeitswelt – Krankheiten und Epidemien – Überbevölkerung |
Für Gesellschaften bedeutet dies, dass sie anders als bisher mit Herausforderungen umgehen müssen. Probleme können nicht mehr jahrelang analysiert und verhandelt werden, bevor eine Lösung gefunden wird. Es braucht komplexe Lösungsansätze, die flexibel angepasst werden können.
Gleichzeitig bedarf es der Legitimation der Mehrheitsgesellschaft, um komplexe Veränderungen mitzutragen. Demnach müssen Entscheidungen immer auch vorausgegangen Beteiligungsprozesse implizieren.
„Die globalen Herausforderungen heute sind derart komplex, dass diese nur global, ständig flexibel und legitimiert gelöst werden können.“
Damit diese neue Art und Weise an Herausforderungen heranzugehen jedoch gelingen kann braucht es einen „Mindset“ Wechsel in der Gesellschaft. Probleme können nicht mehr wie bisher linear angegangen werden nach dem Motto „gebe ich A hinzu kommt B heraus“. Herausforderungen müssen in ihrer Komplexität betrachtet und ganzheitliche bearbeitet werden. Auf diesen Wandel mit Problemen anders als bisher umzugehen ist unsere Gesellschaft jedoch bisher nur unzureichend vorbereitet.
Dieses Defizit kann nicht durch Gesetze, natürliche Ressourcen oder Geld ausgeglichen werden. Der einzige Schlüssel ist Bildung. Nur Bildung vermag es die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, die Menschen in einer Gesellschaft brauchen um mit komplexen Herausforderungen umgehen zu können. Aus diesem Grund kommt den globalen Bildungssystemen eine enorme Bedeutung beim gesellschaftlichen Wandel zu. Dies gilt insbesondere für Länder wie Deutschland, welches wenig bis gar keine natürlichen Ressourcen als Alternative hat.
Die meisten globalen Schulsysteme und insbesondere das deutsche, können allerdings dem Anspruch auf die Vermittlung der Kompetenzen, die einem neuen „Mindset“ entsprechen, bei weitem noch nicht erfüllen. Unser Schulsystem ist im Kern immer noch darauf ausgelegt Inhalte in einem festen Kanon, zu einer festen Zeit, in aufbereiteter Form vorgekaut zu bekommen. Diese Inhalte werde von den Lernenden in der Regel punktuell in Form einen Erbrechens reproduziert und meist danach wieder vergessen. Ob Lerninhalte nachhaltig bei den Lernenden angekommen sind bleibt dem Zufall überlassen. Ob aus dem Erlernten sogar eine Handlungsfähigkeit in Form einer Kompetenz erwächst bleibt somit pure Glückssache.
Dies liegt insbesondere immer noch daran, dass Schulen zunehmend die Rolle einer gesellschaftlichen Verteilungsfunktion eingenommen haben. Schulen entscheiden maßgeblich darüber, wer welche Chancen im späteren Leben bekommt. Diese Chancen auf einen guten Beruf sind an Zensuren und Abschlüsse gekoppelt, die wiederum auf dem vermeintlichen Erlernen von Wissen beruht, welches für die Herstellung von Arbeitsleistung benötigt wird. Damit folgt Schule immer noch dem Ethos der Industrialisierung, in welchem Menschen nach Schichten für einen bestimmten Beruf vorgesehen waren. Hierfür brauch(t)en sie bestimmte Fähigkeiten, die Schule zu vermitteln hat(te). Schulische Bildung nimmt damit den Weg einer linearen Vermittlung von Wissen ein. „Für eine bestimmte Funktion braucht es einen Input. Wird dieser gegeben erfolgt ein Output“.
Um die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzugehen braucht es aber eine veränderte Herangehensweise um Lösungen zu finden, die nachhaltig für gute Lebensumstände sorgen können. Denken wir zum Beispiel an den Klimawandel, so wird es nicht ausreichen alle Verbrennermotoren gegen Elektroautos auszutauschen. Um den Bedarf der Bevölkerung an Mobilität zu decken, würden die natürlichen Ressourcen der Erde niemals ausreichen. Gleiches gilt für den Austausch konventioneller gegen regenerativer Kraftwerke. Erneuerbare Energien haben nämlich den großen Nachteil, dass diese nur Strom produzieren, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Zudem müssen die neuen Kraftwerke an einem Standort aufgestellt werden, was wiederum die Landschaft beeinflusst oder Anwohner*innen verärgert. Akzeptiert die Mehrheit der Bevölkerung diesen Wandel nicht, so wird er ebenfalls scheitern. Entweder durch das ausnutzen der Marktmacht des Konsumenten oder bei der nächsten Wahl, indem eine Partei die Mehrheit erhält, welche einen Roll-Back in konventionelle Energien durchführt.
Wir sehen also, es braucht eine ganzheitliche Betrachtung der Herausforderungen, die diese in ihrer ganzen Komplexität wahrnehmen. Das bedeutet Probleme müssen aus möglichst vielen Perspektiven betrachtet werden. Inhalte zu einer solchen Herausforderungen müssen miteinander in Beziehung gesetzt und vernetzt werden. Und daraus resultierende Lösungsansätze müssen demokratisch legitimiert werden und über das eigentliche Problem hinaus mit bedacht werden. Habe ich beispielweise einen Lösungsansatz für die Herausforderung der Überbevölkerung gefunden, so muss ich auch beachten, welche Auswirkungen meine Lösungen auf Gesellschaft oder Demokratie haben.
Das dies nicht mit bedacht wurde, zeigt sich zum Beispiel an der Ein-Kind-Politik Chinas zwischen 1980 und 2016. Das Verbot mehr als ein Kind pro Familie zu bekommen hatte enorme Folgen auf die chinesische Gesellschaft. Mädchen wurden aufgrund ihres gesellschaftlichen Status öfter abgetrieben. Dies hat(te) eine Überbevölkerung von Männern zur Folge, was sich wiederum bis heute auf die chinesische Gesellschaft enorm auswirkt.
Ein weiterer Umbruch in der Gesellschaft, welchen ein Umdenken im Bildungssystem fordert, ist die Digitalisierung. Digitalisierung wird unsere Gesellschafts- und Arbeitswelt drastisch verändern. Bisherige Routinen und Berufe werden sich komplett verändern. So zum Beispiel das jederzeit und ortsunabhängig Wissen zur Verfügung steht und es keine Expert*innen mehr hierfür braucht. Oder das unzählige Arbeiten von Robotern oder Künstlicher Intelligenz übernommen werden können.
All dies erfordert neue Kompetenzen um in der Gesellschaft und Arbeitswelt seinen Platz zu finden und ein lebenswertes Leben haben zu können. Um sich darauf einzulassen bedarf es aber eben diesem neuen Mindset, das grundlegende Strukturen unsere gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitswelt sowie unser Bildungssystem in Frage stellt. Es Bedarf einer grundlegenden Neuausrichtung dieser Systeme.
Um dieses „Mindset“ entwickeln zu können braucht es wiederum andere Kompetenzen, als wie sie bisher in unseren Bildungssystemen vermittelt werden. Es braucht Kompetenzen, die Lernende dazu befähigen vernetzt zu denken, sich lebenslang selbstständig weiterzubilden, kritisch aber ergebnisorientiert zu denken, teamfähig kooperieren zu können, kreative Ideen zu entwickeln und transdisziplinär zu denken, situationsbedingt kommunizieren zu können, metareflexiv reflektieren zu können und eine demokratische, liberale und offenen Gesellschaft bewusst einzufordern.
„Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen zu können, braucht es einen echten Mindsetwechsel, der grundlegende Strukturen in Frage stellt und neu ausrichtet“